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Biblische Zentrallehre

von E.F.

Aus der Gnade gefallen? (Galater 5:4)

Gegenwärtig wird in den Versammlungen der Zeugen Jehovas das von der Wachtturm-Gesellschaft herausgegebene Büchlein "Lebe mit dem Tag Jehovas vor Augen" in den Versammlungsbuchstudien betrachtet. Beim Durchlesen fällt eine Aussage auf, die zuerst sehr positiv erscheint, und zwar eine Aussage über die Rechtfertigung aus Glauben.

Auf der Seite 25 des Büchleins wird in Absatz 17 gesagt:

"Was ... den Gerechten betrifft, durch seinen treuen Glauben wird er am Leben bleiben" (Habakuk 2:4). Diese Worte müssen für uns von besonderer Bedeutung sein, denn der Apostel Paulus zitierte sie in den Büchern der Christlichen Griechischen Schriften (Römer 1:17; Galater 3:11; Hebräer 10:38).

Und auf Seite 187, Absatz 20 wird gesagt:

"Was ... den Gerechten betrifft, durch seinen treuen Glauben wird er am Leben bleiben" (Habakuk 2:4). Präg dir das fest ein. Es ist eine biblische Zentrallehre. Paulus zitiert den Text in seinen inspirierten Schriften drei Mal. ... Jesus leuchtet mit Heilung auf.

Im ersten Augenblick könnte man meinen, dass die leitende Körperschaft endlich die Rechtfertigung oder Gerechtsprechung aus Gnade im Glauben herausstellen möchte, so wie Paulus dies, ausgehend von Römer 1:17 und hin zu Römer 3:24, getan hat: "... und werden umsonst gerechtfertigt durch seine Gnade, durch die Erlösung, die in Christus Jesus ist ... Denn Gottes Gerechtigkeit wird darin offenbart aus Glauben zu Glauben, wie geschrieben steht: »Der Gerechte aber wird aus Glauben leben.«".

Zwar wurde in der Publikation an den genannten Stellen die "biblische Zentrallehre" nicht weiter erläutert. Aber man könnte annehmen, dass ein Bibelleser herausfinden und verstehen würde, was Paulus hier gedanklich entwickelt: Rechtfertigung aus Gnade, aus unverdienter Güte, ohne Verdienst, ohne jegliche Form von Werken oder Werkgerechtigkeit.

Gott rechtfertigt Menschen, die Glauben haben an das Opfer Jesu, für die Christus der Herr ist. Warum nimmt er wohl nicht Nächstenliebe, Eifer, Demut, Barmherzigkeit oder einen anderen Aspekt der Frucht des Geistes (Galater 5:22) zur Grundlage? Weil damit wieder die eigene Leistung, die eigenen Werke, die Werkgerechtigkeit ins Spiel käme. Es hieße: Christus ja, aber man muss auch Werke vorzeigen, um gerechtfertigt und damit gerettet zu werden. Doch Glaube an das völlig ausreichende Opfer Jesu hat zur Grundlage, dass der Mensch seine eigene Unfähigkeit und Unwürdigkeit erkennt, vor Gott gerecht zu werden. Er kann Gott nichts vorweisen, erreicht nicht "die Herrlichkeit Gottes" (Römer 3:23) ... dass sich vor Gott kein Fleisch rühme (1. Korinther 1:29 – siehe auch Epheser 2:8-9). Rechtfertigung ohne jeglichen Verdienst, aus Gnade! Das ist der Kern der guten Botschaft, des Evangeliums von Christus. Und das sollten auch Jehovas Zeugen so verstehen, wenn sie in der Bibel über diese "Zentrallehre" nachforschen. Aber werden sie das tun? Der "treue und verständige Sklave" hat ihnen ja bereits mitgeteilt, dass er gemeinsames, von ihm unabhängiges Bibellesen missbilligt. Also werden sie auf seine Deutung warten. Gibt es Hinweise auf seine Art der Deutung, und weicht diese von der klaren biblischen Aussage ab?

Interessant ist, dass die Neue-Welt-Übersetzung das Wort "glauben" in aller Regel mit "Glauben ausüben" wiedergibt. Hier wird schon der Eindruck erweckt, dass Glaube mit Werken engstens verbunden ist. Dabei geht es an dieser Stelle aber um die Rechtfertigung. Natürlich wird ein Christ angespornt, gute Werke zu tun; aber sie dienen in keinem Fall in irgend einer Weise seiner Rechtfertigung vor Gott. Sie sind vielmehr die Folge seiner Rechtfertigung aus Glauben.

Eine Rebe blüht und fruchtet, weil sie im Weinstock ist; sie kommt nicht erst in den Weinstock, weil sie fleißig aus eigener Kraft blüht und Früchte trägt (Johannes 15:4). Auf keinen Fall kann sich jemand durch Gesetzeswerke oder durch andere Werke vor Gott rechtfertigen. Bezeichnenderweise gibt The Kingdom Interlinear Translation, eine von der Organisation herausgegebene englische Übersetzung des Neuen Testaments, in der Zwischenzeilen-Lesart das griechische Wort für "glauben" auch immer entsprechend wieder. Doch die endgültige Lesart sagt wieder "Glauben üben". Sollte man hier nicht vermuten, dass der Gedanke eingeflößt werden soll, man müsse zu seiner Rechtfertigung und Rettung etwas tun, zum Opfer Jesu etwas beitragen, sich seine Rettung verdienen?

Erscheint das zu weit hergeholt, mit Vorurteilen behaftet? Die Organisation pflegt in den von ihr herausgegebenen Publikationen, soweit sie in ihren Zusammenkünften betrachtet und besprochen, "studiert" werden, zu den jeweiligen Absätzen am Fuße der Seiten Fragen vorzugeben, die bei diesen Betrachtungen gestellt werden. Lesen wir doch einmal die Frage zu Seite 187, Absatz 20, wo von der biblischen Zentrallehre gesprochen wird.

Die Frage lautet:

"Welchen herrlichen Lohn können wir empfangen, wenn wir Glauben ausüben?"

Hier werden die Gedanken der Zeugen nicht nur auf das Ausüben von Glauben gelenkt, wie schon besprochen, sondern es wird ganz eindeutig von Lohn gesprochen. Doch was sagt Paulus über Lohn? "Dem aber, der Werke tut, wird der Lohn nicht angerechnet nach Gnade, sondern nach Schuldigkeit. Dem dagegen, der nicht Werke tut, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt, wird sein Glaube zur Gerechtigkeit gerechnet" (Römer 4:4-5; siehe auch Galater 2:16).

Daher der Schluss von Paulus laut Römer 3:28: "... dass der Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke", und auch ohne andere Werke. Lohn erwartet man für eine Leistung; wenn wir die Rechtfertigung, die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, von Gott als Lohn erwarten, dann wäre das etwas, was Gott uns "schuldet". Dann wäre Gnade nicht mehr Gnade! Doch Gott schuldet uns nichts, keinem von uns! Das ist die biblische Zentrallehre! Gott gibt uns in Jesus und seinem Opfer die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt, als Gabe, als Geschenk.

Doch die leitende Körperschaft vermittelt ihren Gläubigen den Gedanken, dass sie Rettung aus Verdienst, als Lohn empfangen; und damit kommt man auch wieder zu der von vielen Zeugen häufig gestellten Frage: "Tue ich auch genug, um gerettet zu werden?" – Nein, keiner könnte dafür genug tun; aber er braucht es auch nicht. Doch wer so denkt, so belehrt wird, hat er die gleiche Zentrallehre wie Paulus? Wo spricht Paulus im Zusammenhang mit der Rechtfertigung aus Glauben je von Lohn, von Verdienst?

Die in der Publikation gestellte Frage lässt die wahre Gedankenwelt des "treuen und verständigen Sklaven" und seiner leitenden Körperschaft erkennen. Die Lehre von der Rechtfertigung aus Glauben durch die freie Gnade Gottes wird verbogen; man erwartet Lohn! Hier ist wieder Werkgerechtigkeit, Selbstgerechtigkeit. Ist das noch das Evangelium der Bibel oder ist es schon ein anderes Evangelium? (Galater 1:6-9). Ist man hier nicht wirklich aus der Gnade gefallen?

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